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Du bist nicht dein MRT



Magnetresonanztomographien (MRTs) werden häufig als diagnostisches Mittel eingesetzt um Strukturen im Körper darzustellen. MRT- Scans können helfen, detaillierte Informationen über Gehirn, Rückenmark, Gelenke und Weichteilstrukturen wie Muskeln und Bänder sowie innere Organe zu

bekommen. Dadurch können wir mehr Informationen über das Innere unseres Körpers bekommen und Diagnosen stellen, die zur Behandlung eines Problems verwendet werden können.


MRT - Untersuchung
MRT Scan

Aber sind diese Infos nützlich und hilfreich im Umgang mit Schmerzen?


In Deutschland werden jährlich ca. 2 Millionen MRTs durchgeführt. Aber brauchen wir diese Informationen wirklich um Beschwerden zu behandeln? Der Einsatz von MRT-Scans zur Behandlung von Schmerzen des Bewegungsapparats wurde in den letzten Jahren aufgrund zunehmender “Überdiagnosen” in Frage gestellt.

Überdiagnosen sind “ungerechtfertigte Diagnosen die zu unnötigen Behandlungen führen können, von denen Patient*innen nicht profitieren und die Gesundheitsressourcen verschwenden, die an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnten” (Maher et al. 2019).


Oft wird angenommen, dass MRT-Scans die Ursache für die Schmerzen aufdecken können und somit Notwendig für die Behandlung sind. Dieser biomedizinische Ansatz (Quintner et al. 200) ist eine etwas einseitige Perspektive, in der davon ausgegangen wird, dass Schmerzen nur mit strukturellen Veränderungen im Körper zusammenhängen. Heute wissen wir, dass Schmerz von mehreren Faktoren beeinflusst wird, u.a. biologischen (z. B. Gewebeverletzungen, Entzündungen), psychologischen (z. B. Stress, Angst, Überzeugungen über Schmerzen) und sozialen Faktoren (z. B. kulturelle Überzeugungen, Auswirkungen von Schmerzen auf das Familienleben, Freundschaften, Hobbys) (Malpus, 2019).


Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass Patient*innen glauben, dass pathologische Befunde in der diagnostischen Bildgebung ein Beweis dafür sind, dass ihre Schmerzen real sind und dass so die Quelle der Schmerzen lokalisiert werden kann. Hinzu kommt die Angst des medizinischen Fachpersonals, einerseits eine ernsthafte Diagnose zu übersehen und andererseits die Erwartungen der Patient*innen nicht zu erfüllen (Sharma et al. 2020). Inzwischen ist jedoch klar, dass der übermäßige Einsatz von Bildgebung bei der Behandlung von muskuloskelettalen Schmerzen Patient*innen durch Überdiagnosen schadet. Zum Beispiel stehen nur 1 % der Rückenschmerzen im Zusammenhang mit ernsthaften Pathologien die weitere Untersuchungen erfordern (z. B. Krebs, Infektionen, Frakturen usw.).


Das Problem ist, dass Menschen, die Schmerzen haben - vor allem starke, akute Schmerzen oder langfristige, chronische Schmerzen - besorgt sind und sich Antworten mit Hilfe einer diagnostische Bildgebung wünschen. Wenn aber keine, der so genannten “red Flags” (Zeichen einer potenziell ernsthaften Pathologie wie Gewichtsverlust, Verlust der Darm-/Blasenkontrolle, kürzliches Trauma usw.) vorhanden ist, wird bei unteren Rückenschmerzen von einer Bildgebung abgeraten, denn starke Schmerzen sind, auch wenn sie beängstigen, keine “red Flag”.


Tatsächlich sind pathologische Befunde bei asymptomatischen (= keine Schmerzen) Patient*innen im MRT-Scan häufig. Eine großangelegte Studie untersuchte asymptomatische Personen, bei denen ein CT- oder MRT- Scan des unteren Rückens gemacht wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass die Prävalenz von Bandscheibendegenerationen bei 20-Jährigen bei 37% lag und bei 80-Jährigen auf bis zu 96 % anstieg. Bandscheibenvorwölbungen, die im Zusammenhang mit Rückenschmerzen häufig befürchtet werden, waren aber ebenfalls häufig (40% der 30-Jährigen und 60% der 50-Jährigen) (Brinjikji et al. 2015).




Schmerzstudie


Brinjikji et al Studie - alles Personen OHNE Schmerzen!

Die Ergebnisse zeigten auch, dass pathologische Veränderungen im Rücken möglicherweise nicht im Zusammenhang mit dem aktuellen Schmerzproblem stehen müssen. Deshalb sollte man bei der Betrachtung von MRT-Scans immer auch die Symptome der Person berücksichtigen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass eine Bandscheibendegeneration, die Ursache für akute Rückenschmerzen ist, denn diese ist meist schon länger vorhanden. Denn unsere Körper verändern sich stetig mit zunehmendem Alter. Wir bekommen graue Haare und Falten - nur werden diese Prozesse, anders als im Wirbelsäulenbereich nicht als “degenerative Veränderungen” bezeichnet, sondern zählen zu den altersbedingten Veränderungen.

Diese Studien gibt es nicht nur im Zusammenhang mit Rückenschmerzen. Knieschmerzen führen ebenfalls oft zu einer wesentlichen Beeinträchtigung und einem eingeschränktem Aktivitätsniveau. Der Glaube, dass Knieschmerzen mit “Knochen auf Knochen” und “Abnutzung” zusammenhängen, ist weit verbreitet (Darlow et al. 2018). Zum Beispiel ist eine Kniearthroskopie (Operation bei Kniearthrose) als Behandlung für degenerative Veränderungen, die im MRT zu sehen sind, sehr weit verbreitet. Inzwischen wird aber in klinischen Praxisleitlinien ausdrücklich von einer Operation bei Kniearthrose abgeraten, da die die Risiken den Nutzen überwiegen können und sie nicht effektiver ist als z.B. eine Scheinoperation oder Physiotherapie (Siemieniuk et al. 2017, Katz et al. 2014). Eine kürzlich durchgeführte große Studie mit Personen, die keine Knieschmerzen hatten, aber mit detaillierten MRT-Scans untersucht wurden, zeigte, dass 97 % der Knie "Anomalien in mindestens einer Kniestruktur, z. B. dem Meniskus, Knorpel, Sehnen, Bändern" aufwiesen (Horga et al. 2020). 62 % der untersuchten Personen wiesen eine Knorpelanomalie auf, 30 % hatten einen Meniskusriss und 46 % eine Sehnenanomalie. Dies unterstützt eine große systematische Übersichtsarbeit, die zeigte, dass 43 % der asymptomatischen über 40-Jährigen Knorpeldefekte und 25 % der Untersuchten Osteophyten aufwiesen, deren Prävalenz mit dem Alter zunahm (Culvenor et al. 2019).

Ähnliche Studien und Übersichten wurden auch für die Schulter durchgeführt. Diese zeigten ebenfalls eine hohe Prävalenz von Pathologien in der diagnostischen Bildgebung bei asymptomatischen Probanden, wie z. B. Risse der Rotatorenmanschette und Schleimbeutelverdickung sowie Acromioclaviculargelenk-Arthritis (Girish et al. 2011, Gill et al. 2014). In ähnlicher Weise wiesen bei Scans von asymptomatischen Hüften in einer Studie 73 % der Probanden irgendwelche Anomalien auf (Register et al. 2012).


Und was heißt das jetzt?


Wir sollten weniger Wert auf bildgebende Verfahren legen wenn es um Schmerzen geht. Pathologische Befunde auf MRT-Scans müssen nicht heißen, dass diese die Ursache für Schmerzen sind - und selbst wenn sie es sind, ändern sie nichts am Behandlungsvorgang. Überdiagnosen von Befunden können sogar mehr Schaden als nützen, insbesondere wenn sie bei den betroffenen Personen Sorgen und Ängste verstärken. Wenn man z.B. einem 35- jährigen Patienten sagt, dass er eine Bandscheibendegeneration hat, ohne darüber Aufzuklären, dass diese höchstwahrscheinlich normal ist, geht man das Risiko ein, dass sich der Patient vermehrt Sorgen um seinen Rücken macht und versuchen wird seinen Rücken zu schonen. Durch den Bewegungsverlust und die Schonhaltung riskiert man, dass es zu chronischen Rückenschmerzen kommt und der Patient glaubt, dass er für immer geschädigt ist.


Das wird “Nocebo” Effekt (Gegenteil von Placebo Effekt) genannt. Wenn also eine Bildgebung gemacht wurde, sollte immer mit dem medizinischen Fachpersonal geklärt werden, ob der vermeintlich pathologischer Befund auch bei anderen Menschen üblich ist und ob diese auch die gleichen Symptome haben. Und immer dran denken: Menschen mit Schmerzen können auch MRT-Scans ohne Pathologien haben. Natürlich sind MRT-Scans nicht komplett sinnlos - im Gegenteil. Wir brauchen sie um Probleme zu erkennen die dringend behandelt werden müssen oder auch um andere, ernsthafte Erkrankungen zu diagnostizieren.

Für die überwiegende Mehrheit unserer muskuloskelettalen Schmerzen ist es aber am besten, von der Bildgebung abzusehen und sich lieber darauf zu konzentrieren, unsere Schmerzen zu verstehen, körperlich aktiv zu werden und zu unseren normalen Aktivitäten zurückzukehren - und sogar neue auszuprobieren!


Immer dran denken:


Ein MRT-Scan ist nur eine Momentaufnahme, bei dem “degenerative” Befunde bei Menschen mit- und ohne Symptome vorhanden sein können. Die Beschwerden können aber täglich variieren und wir selbst können beeinflussen inwieweit sie uns im Alltag beeinflussen. Wir können die Ergebnisse der Scans positiv betrachten und optimistisch sein, dass es besser wird wenn wir immer alle Faktoren des Bio- Psycho- Sozialen Modells in unsere Genesung mit

Bio-Psycho-Soziales Modell Schmerzerklärung

einbeziehen. Also: Identifiziere dich nicht mit deinem MRT! Es ist nur ein Bild von dir. Wichtiger ist es, sich auf Dinge zu konzentrieren die wir Kontrollieren können, wie z.B. die Rückkehr zur Aktivität und den Heilungsprozess.

Wir alle haben einige dieser "degenerativen" Veränderungen in unserem Rücken, aber wir haben auch ein paar Falten und graue Haare, das ist nunmal der Lauf des Lebens :)



Quelle:

Aus dem Englischen Übersetzt von:


You are not your MRI - Back to roots


All Credits to: Back to roots




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